Referat zur Ausstellungseröffnung "Der Orgelbaumeister Eberhard Friedrich Walcker und sein Werk" am 25. Februar 2002 in Neuhausen / Filder, Rathaus 1. Stock von Markus Grohmann, Dekanatskirchenmusiker Esslingen/Neuhausen
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Hacker, sehr geehrter Herr Pfarrer Kirsch, sehr geehrter Herr Walcker-Mayer, sehr geehrte Mitglieder des Gemeinderates und Kirchengemeinderates, verehrte Gäste und Orgelfreunde!
Ohne die Schlacht von Waterloo von 1815, bei der Napoleon vernichtend geschlagen wurde, wären wir heute vielleicht nicht hier - zumindest nicht wegen der Sache Walcker-Orgel. Und sie, Herr Walcker-Mayer, der Ur-Ur-Enkel, wäre vielleicht gar nicht auf der Welt. Was die Schlacht von Waterloo mit unserer Ausstellung zu tun hat, fragen sie sich sicher?
Am 26.Juni 1815 wurde E.F.Walcker zum Kriegsdienst eingezogen - und der Kriegsdienst dieser Zeit galt in erster Linie den Franzosen. Doch bereits am 15.Juli, also nur 3 Wochen später, wurde Walcker wieder als Soldat entlassen - "dank" der Schlacht von Waterloo war der Krieg mehr oder weniger überraschend beendet und E.F.Walcker wurde wie viele Andere verschont - blieb am Leben und sollte eine große Karriere vor sich haben - die auch uns Neuhäuser hier betrifft.
E.F.Walcker wurde am 3. Juli 1794 in Cannstatt als Sohn des Orgelbauers Johann Eberhard Walcker geboren. Der Vater schrieb aus diesem Anlass in die Familienbibel: Anno 1794 den 3. Julius abends zwischen 5 und 6 Uhr wurden wir mit einem lieben Söhnlein erfeut, welchem den folgenden Tag in der heiligen Taufe der Name Eberhard Friedrich gegeben wurde. der Herr schenke diesem Kind Wachstum und Stärke im Geistlichen und Leiblichen und lasse uns Freude und Wonne an ihm erleben".
Dies sollte auch so geschehen - Vater Walcker starb am 18. Juli 1843 im Hause seines inzwischen international bekannten und angesehen Sohnes in Ludwigsburg im gesegneten Alter von 87 Jahren.
E.F.Walckers Kindheit in Cannstatt war hart. 1796 kämpften französische gegen österreichische Truppen bei Cannstatt - das Städtchen wurde schwer unter Beschuss genommen und die Familienchronik der Walckers berichtet: "Die beiden mit der Mutter im Keller campierenden Kinder Juliana im Alter von 4 Jahren und E.F. im Alter von 2 Jahren, lagen, erstere im Krampfhusten, letzterer an der von fremden Truppen eingeschleppten Blatternkrankheit, schwer betroffen darnieder. Das 4jährige Töchterlein erlag seinem Leiden am 25.Juli - während das 2jährige Söhnlein erhalten blieb".
Die Zeit der Kindheit Walckers war von bitterster Not gezeichnet und erst nach 1811 besserte sich die Lage. Die schwere Zeit der Kindheit prägte E.F.Walcker für sein späteres Leben.
Bereits als Kind und später handwerklich geschickt als Jugendlicher war Walcker in der Werkstatt seines Vaters zugegen und ihm war bald klar, dass er ebenfalls den Beruf des Orgelbauers erlernen wollte - was seiner Mutter wegen der schlechten Berufsaussichten gar nicht gefiel. Im Sommer 1807 besuchte der bekannte Orgeltheoretiker und Künstler Abbe´ Vogler Walckers Vater in Cannstatt - eine Begegnung mit vielen neuen Ideen zur Orgeltechnik und zum Klangbild eines vielleicht neuen Orgelbaues - die den jungen E.F. sehr prägten. Im Jahre 1821 heiratete Walcker die Ludwigsburgerin Beate Weigle und gründete dort später, nachdem er für 100 Gulden die Bürgerrechte erworben hatte, seine eigene Werkstatt - bewusst fernab vom Vater, um diesem keine Konkurrenz zu machen.
E.F.Walckers erste Orgel Opus 1 , 1820, für Kochersteinsfeld, entstand allerdings noch in der Cannstatter Werstatt des Vaters. Ab 1824 ging es mit seiner kleinen neu gegründeten Werkstatt in Ludwigsburg aufwärts - er erhielt den Auftrag, für die Stuttgarter Garnisonskirche eine größere Orgel mit 20 Registern zu bauen. Die "treffliche Qualität" des Instrumentes sprach sich bald herum und weitere Aufträge folgten.
E.F.Walcker hatte Visionen eines neuen, romantischen Orgelklanges und Orgelbaues. Die Orgelmusik spielte in dieser Zeit bei den Komponisten kaum noch eine Rolle, was er vor allem dem bis dato immer noch barock ausgerichteten Orgelklang anlastete, obwohl sich die Musik und die Besetzung der Orchester bereits stark verändert hatte. So suchte er nach Möglichkeiten, den Orgelklang viel farbiger und runder zu gestalten - was andererseits - vor allem in großen Domkirchen - eine sehr große Disposition, also eine Vielzahl an Registern und somit Pfeifen, notwendig machte.
Das barocke System der so genannten Schleiflade war wegen der Windversorgung der Pfeifen auf eine bestimmte Größe beschränkt. Großmensurierte Farbregister, die naturgemäß viel Wind verschlucken, waren bei dieser Orgeltechnik nur sehr eingeschränkt möglich.
So forschte und tüfftelte E.F.Walcker mit vollem Einsatz, auch unter großem finanziellen Aufwand an einer neuen Technik - der so genannten Kegellade - die nach und nach reifte und sich später im Orgelbau allgemein durchsetzte.Durch die Vollendung dieser Kegellade konnte Walcker nun seine klanglichen Vorstellungen, die er längst im Kopf hatte, umsetzen.
Der große, auch internationale Durchbruch gelang Walcker mit seinem Instrument Opus 9, sein bisher größtes Instrument für die berühmte und politisch bedeutende Frankfurter Paulskirche mit 74 Registern auf 3 Manualen.Über die Einweihung am 9. Mai 1833 schrieb die Franfurter Zeitung: "Die neue Orgel steht nun als Meisterwerk da, das an Stärke des Tons, an Mannigfaltigkeit, Zartheit und Reinheit der Stimmen, keiner bis jetzt bekannten Orgel nachsteht, die meisten weit übertrifft!"
Insgesamt 12 große Instrumente markieren nun Walckers Entwicklung zum führenden und innovativsten Orgelbauer Deutschlands; 1843 folgte der Auftrag für die Stuttgarter Stiftskirche - es folgen, für damalige Zeiten eine absolute Seltenheit im Orgelbau - Großaufträge aus dem Ausland - Petersburg - Reval - Helsinki und Zagreb - um nur einige zu nennen.Die größte Orgel der Welt baut Walcker mit 100 Registern - das heißt über dreimal so groß wie unsere Orgel hier in Neuhausen - für das Ulmer Münster. In Ulm führte Walcker jahrelang Verhandlungen um den Kirchengemeinderat und die Verantwortlichen von seinem völlig neuen Konzept zu überzeugen - er hätte lieber auf den großen Auftrag verzichtet, als seine Auffassung preiszugeben.
Am 16. Oktober 1856 fand die Einweihung der neuen Ulmer Münster-Orgel statt. Der berühmteste französiche Orgelbauer Cavaille´-Coll, der mit Walcker in fachlichem Austausch stand, schrieb nach der Besichtigung dieser neuen Orgel an den bedeutenden belgischen Komponisten Jaques Lemmens: "Ich hätte gewünscht, sie wären dabei gewesen, um dieses gigantische Werk zu prüfen. Es bedarf hier eines Mannes von ihrem Zuschnitt um die Möglichkeiten eines so prachtvollen Instruments auszuschöpfen.(...) Es scheint als habe Herr Walcker in dieser Orgel alles vereinigen wollen, was die moderne Kunst Vollkommeneres besitzt und wozu er selbst das Seine beigetragen hat.
Walckers Unternehmen war inzwischen sehr gewachsen und er war stets bemüht um das Wohl seiner Mitarbeiter. Eine für damals revolutionäre Werkstattordnung schütze die Mitarbeiter auch im Krankheitsfall - sicherte ihnen ggf. eine kostenlose Krankenhausbehandlung zu u.a.. Walcker begann den Morgen mit seinen Mitarbeitern mit einer Morgenandacht - danach wurde der Tagesablauf besprochen. Er legte ebenso größten Wert auf einen gemeinsamen Mittagstisch der Belegschaft - wo ihm seine Frau Beate eine aufopfernde Stütze war. Walcker hatte erkannt, dass eine Orgel nach seinem Kunst-und Qualitätsbegriff nur dann zu verwirklichen war, wenn jeder einzelne sich mit seiner Arbeit im Betrieb und dem zu erstellenden Instrument identifizieren konnte.
Nur so ist es auch zu erklären, dass es die Fa. in der Zeit E.F.Walckers durch die durchdachte arbeitsteilige Produktion auf insgesamt 277 Instrumente brachte - und alle von hoher und höchster Qualität.
Auch der berühmte Komponist und Orgelvirtuose Max Reger spielte jahrelang auf einer Walcker-Orgel in Wiesbaden und muss beeindruckt gewesen sein - wie sich in einigen seiner großartigsten Orgelkompositionen zeigt: In der Choralfantasie "Wie schön leuchtet der Morgenstern" beziehen sich alle Registrieranweisungen auf die Praxis der Wiesbadener Walcker-Orgel.
Walcker lieferte inzwischen auch nach Übersee - bekam den Auftrag für die erste große Konzertorgel in den USA - in der Musicalhall Boston. Er wurde mittlerweile so bekannt, dass er teilweise Post aus dem Ausland erhielt mit der Adresse "Orgelmacher Walcker in Deutschland" - und die Post kam an.
Privat hatte er einige Schicksalsschläge wegzustecken - 1843 verstarb überraschend seine Frau und rechte Hand Beate im Alter von 50 Jahren. Von 4 Kindern aus dieser Ehe starben 2 Kinder. Seine zweite Ehefrau Maria Stump aus Kirchheim/Teck - die er beim dortigen Orgeleinbau kennen gelernt hatte, schenkte ihm 11 Kinder, von denen sie allerdings auch 2 Mädchen zu Grabe tragen mussten. Insgesamt hatte E.F.Walcker also 11 Kinder, von denen die 8 Söhne teilweise Orgelbauer, teilweise Kaufleute wurden. Die 3 Mädchen heirateten in Familien ein.
Wie es oft so geht hatte auch Walcker anfangs Probleme, dass seine Erfindung der Kegellade und seine gesamten Neuerungen von den Aufsichtsbehörden ernst genommen und patentiert wurden. So schrieb er selbst darüber: "Unsere württembergischen Aufsichtsbehörden waren, nur mit wenigen Ausnahmen, jahrelang der Hemmschuh gegen diesen gewaltigen Fortschritt der Orgelbaukunst und erlaubten aus Mangel an technischen Kenntnissen, durchaus nicht diese neue Construktion in einer öffentlichen Kirche ausführen zu lassen, weil sie von der Stabilität derselben noch keine Beweise habe. Erst vom Ausland her mussten sie überzeugt werden...!" Wie war ist und bleibt doch der Spruch vom Prophet im eigenen Land!
Am 1. März 1843 wurden Walckers neue Windladentechnik patentiert und somit auch rechtlich gesichert.E.F.Walcker und sein Lebenswerk für den Orgelbau wurde noch zu Lebzeiten mit vielen Auszeichnungen geehrt, von denen die wichtigsten erwähnt seien:
1855 bekam er für das sehr gelungene Werk der Orgel im Dom zu Zagreb - übrigens die nächste Orgel mit Opus 127 nach unserer Neuhäuser Orgel mit Opus 126 - die silberne Ehrenmedaille des Kronkardinals von Agram verliehen - verbunden mit einem Ehrensold von 2000 Kronen.( Diese Medaille bildet Bestandteil unserer Ausstellung!) Durch den württembergischen König wurde er mehrmals ausgezeichnet: 1830 erhielt er die goldene Verdienstmedaille; 1854 die große goldene Verdienstmedaille für Kunst und Wissenschaft.; 1865 das Ritterkreuz 1. Klasse des Friedrichordens. 1857 verlieh im die Academie Nationale Paris die silberne Ehrenmedaille. 1865 wurde er Ehrenmitglied und Meister des freien deutschen Hochstifts in Frankfurt am Main.
E.F.Walcker starb am 4. Oktober im Alter von 78 Jahren in Ludwigsburg. Seine Firma war bereits in den Händen seiner Söhne. Noch heute erinnert ein Relief im Landesgewerbeamt an ihn als einen der großen Industriepioniere unseres Landes.
Durch die Erfindung des elektrischen Stroms, durch die Zerstörungen der beiden Weltkriege - durch veränderten Musikgeschmack und die Bewegung des Neo-Barock in den 1960ger Jahren , als alles romantische in Musik, aber auch Baukunst, verpönt schien, wurde das Erbe E.F.Walckers schwer in Mitleidenschaft gezogen - so dass heute nur noch wenige Instrumente erhalten sind.
Unserer Neuhausener Walcker-Orgel mit ihren 32 Registern auf 2 Manualen stellt die einzige noch erhaltenen Walcker-Orgel mit originaler Kegelladen-Mechanik dieser Größe dar. Trotz einiger Änderungen in den 1920 und 1930ger Jahren verfügt diese Orgel über ein äußerst großes Potential an Walckerscher Originalsubstanz. Dass sich die Kirchengemeinde Neuhausen trotz des gleichzeitigen Kirchenneubaues bei der Auftragserteilung der Orgel am 26. März 1851 für "Den Besten" entschied, ist uns heute - verantwortlich für eine wegweisende Sanierung des überregional bedeutenden Instruments - Verpflichtung.
Wir nähern uns derzeit dem Spendenstand von 490.000.- DM oder 250.000.- Euro - ein Ergebnis nach knapp zwei Jahren Orgelförderkreisarbeit, auf das wir stolz sind. Im März und April dieses Jahres unternimmt der Kirchengemeinderat verschiedene Orgelfahrten, die auf Empfehlung der diözesanen Orgelkomission zustande kamen - im Mai dieses Jahres soll dann die Entscheidung über die Auftragsvergabe zur Renovation fallen. Meiner Einschätzung nach könnte unsere Orgel dann nächstes Jahr abgebaut werden.
Nun zum Schluss: Diese Ausstellung soll wie viel andere Aktionen unseres Orgelförderkreises dazu beitragen, der Bevölkerung hier und im Umland die wirklich große Bedeutung und überregionale Bedeutung dieses kirchlich - kulturellen Projektes näherzubringen. Auch wenn eine enorme, jahrelange Kraftanstrengung notwendig ist um die finanziell beträchtliche Renovation auf den Weg zu bringen, zeigen uns vergleichbare Projekte in anderen Gemeinden, voran in Schramberg im Schwarzwald, wie eine sanierte Walcker-Orgel nicht nur die Liturgie und das Konzert enorm bereichert, sondern der ganze Ort oder die ganze Stadt zu einem anerkannten "Pilgerort" für Organisten, Studierende, Professoren und Orgelfreunde wird - was gerade für uns so nah an Stuttgart und an der Autobahn von besonderer Bedeutung sein wird.
Unsere kleine Ausstellung ist gestaltet in 3 Teilen: In den Vitrinen finden sie überwiegend Gegenstände aus dem persönlichen Nachlass von E.F.Walcker sowie historisch wertvolle Orgelpfeifen und natürlich unser Glanzstück - das origanle Portrait Walckers in Öl von 1850.
An den Schautafeln finden sie eine Beschreibung der wichtigsten Orgelbauten Walckers, die auch vorhin von mir erwähnt wurden. So haben wir auch die originalen Zeichnungen der Orgeln von Petersburg und Reval hier.
Der dritte Teil der Ausstellung vermittelt anhand der Schautafeln an der Wand einige Eindrücke speziell über unsere Orgel in Neuhausen - hier finden sie auch die Seiten, wie sie inm unserem Internet-Auftritt vorhanden sind - den wir ihnen für Zuhause ebenfalls empfehlen wollen.
Nun danke ich für ihre Aufmerksamkeit und wünsche ihnen noch einen angenehmen Abend sowie gute Eindrücke über den Orgelbaumeister des 19. Jahrhunderts - Eberhard Friedrich Walcker.
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Literatur:
- "Die Geschichte der Walcker-Orgel Neuhausen" von Markus Grohmann, 1997 in: Schriftenreihe zur Ortsgeschichte, Band 1 - Pfarrarchiv Neuhausen
- "Eberhard Friedrich Walcker" von Rudi Schäfer und Ferdinand Mossmann Musikwissenschaftliche Verlagsgesellschaft Kleinblittersdorf 1994 ISBN 3-929670-34-5
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