Prof. Dr. Ludger Lohmann Staatliche Hochschule für Musik und DarstellendeKunst Stuttgart
Herrn Markus Grohmann Stuttgart, den 16.8.2001 73765 Neuhausen auf den Fildern
Gedanken zur Neuhausener Walcker-Orgel
Die Neuhausener Walcker-Orgel war mir vor meinem Besuch vom 4.7.2001 nur vom Hörensagen und von einem Foto her bekannt. Ich hatte den Eindruck, hier handele es sich um ein Instrument neueren Datums, in dem lediglich einige Elemente der ursprünglichen Orgel weiterverwendet worden waren. Bei meinem Besuch musste ich zu meinem großen Erstaunen feststellen, daß es sich genau umgekehrt verhält: das ursprüngliche Instrument ist zu einem großen Teil erhalten und nach dem 2. Weltkrieg nach dem damaligen Zeitgeschmack überformt worden. Diese Eingriffe dürften sich durch eine sachgerechte und kompetent ausgeführte Restaurierung ohne größere Probleme dergestalt rückgängig machen lassen, daß der Originalzustand des Instrumentes mit großer Annäherung wiedergewonnen wird. Der Anteil rekonstruktiver Maßnahmen dürfte dabei wesentlich geringer ausfallen als bei der vergleichbaren Schramberger Orgel, die im Laufe ihrer Geschichte weitaus stärkeren Eingriffen ausgesetzt war. In der Frage des Prospektes würde ich persönlich für eine möglichst originalgetreue Rekonstruktion plädieren, da der Originalprospekt, soweit aus Fotografien ersichtlich,schlicht und ohne Manierismen gehalten war. Eine “moderne” Gestaltung, die ja zumindest die ursprüngliche Anordnung der Prospektpfeifen respektieren müßte, würde demgegenüber höchstens zusätzliche optische Akzente setzen können, die von der Essenz des Instrumentes ablenken und jedenfalls einen Anachronismus gemessen an der intendierten Zurückgewinnung der ursprünglichen Klanggestalt darstellen würden. Bei der Restaurierung der technischen Anlage sollte der einzig denkbare Kompromiß eine Option auf eine zuschaltbare Spielhilfe in Form eines Barkerhebels sein. Auch eine Wiederverwendung des vorhandenen - wahrscheinlich nicht originalen - großen Magazinbalges in Verbindung mit einem elektrischen Gebläse kommt in Frage. Bei der Neuhausener Walcker-Orgel handelt es sich um ein Kulturdenkmal hohen Ranges. Sie ist nach der Schramberger Orgel das älteste erhaltene, von E.F. Walcker, welcher mehr als jeder andere die deutsche Orgelbaugeschichte des 19. Jahrhunderts geprägt hat, erbaute Instrument, das ausweislich seiner Registerzahl und der Basierung der Manualwerke auf einem Prinzipal 16’ der Kategorie “Stadtorgel” zuzurechnen ist - im Gegensatz zu den kleineren, 8’-basierten “Dorforgeln”, von denen in Baden-Württemberg noch einige aus dem 19. Jahrhundert erhalten sind. Die Größe der Neuhausener Orgel erlaubt die adäquate Interpretation auch der großformatigen Werke der frühen deutschen Romantik (Mendelssohn, Schumann, Liszt, Brahms u.a.); aus diesem Grunde wäre es für die Organistenausbildung an der Stuttgarter Musikhochschule von unschätzbarem Wert, wenn die Neuhausener Orgel zu Unterrichtszwecken genutzt werden könnte, zumal die deutsche Romantik in Stuttgart einen besonderen Ausbildungsschwerpunkt darstellt, der international anerkannt ist. Die Fachgruppe Orgel der Stuttgarter Musikhochschule hat deshalb größtes Interesse an einer optimalen Restaurierung dieses Instrumentes.
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