Das Orgelpositiv von Hieronymus Spiegel, 1762
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors Markus Grohmann aus dem Buch: “Pfarrei und Kirche St. Petrus und Paulus Neuhausen auf den Fildern”.
Erschienen 1997. Erhältlich im Pfarramt der Kirchengemeinde.
Bildnachweis Nr. 74
Die Pfarrgemeinde St. Petrus und Paulus in Neuhausen besitzt eine zweite, denkmalgeschützte Orgel. Neben der Pfarrkirche besass zeitweise auch die Liebfrauenkapelle- oder Friedhofskapelle Kirchenrechte - folglich wurden dort Messen und andere liturgische Dienste gefeiert. Deshalb wurde die Kapelle schon früh mit einer Orgel ausgestattet. Durch alte Rechnungsbücher, in denen Geldbeträge für kleinere Orgelreparaturen, Orgelstimmungen und Kalkantendienste aufgeführt sind, lässt sich mit Sicherheit sagen, dass bereits im Jahr 1725 ein Orgelpositiv vorhanden war.
Am 2. Juni 1725 wurden laut Buchführung an den durchreisenden Orgelbauer Wallenhöfer aus Tirol 5 Gulden für eine Reparatur bezahlt. Nach dem sich dieses Instrument nicht bewährt hatte, wurde 1730 eine andere Orgel beschafft.
Im Jahre 1748 mussten an dieser Orgel die Blasebälge ausgebessert werden. Hierzu findet sich eine Notiz im Rechnungsbuch jener Zeit: "Dem Josef Fay wegen Ausbesserung der Blasebälge entrichtet: 20 Kreuzer".
Nachdem auch dieses Positiv, wohl nicht von besonderer Qualität, schon nach ca. 30 Jahren seinen Dienst versagt hatte, wurde auf Beschluss der Kapellenpflege ein neues Orgelpositiv beim seinerzeit recht bekannten Orgelmacher Hieronymus Spiegel in Rottenburg am Neckar bestellt. Spiegel (1699-1779) entstammte einer bekannten Prager Orgelbauerfamilie - machte sich aber nach Wanderjahren in Rottenburg sesshaft und genoss einen guten Ruf als Orgelbauer. Im Jahre 1762 lieferte Hieronymus Spiegel das ansehnliche Orgelpositiv für 330 Gulden in der Liebfrauenkapelle ab.
Technische Angaben zur Orgel:
Das Orgelpositiv besitzt 1 zierliches Manual mit kurzer Oktav, d.h., die untere Oktave besitzt nur die Töne C, D, E, F, G, A, H, C. Die Halbtöne Cis, Dis, Fis und Gis wurden ausgespart. Mit den Obertasten Fis und Gis bedient man in Wirklichkeit die Töne D und E, deren Tasten ganz fehlen.
Die Windversorgung wird durch 2 Keilbälge, auch Froschmaulbälge genannt, die sich im Orgelinnern direkt unter der Windlade befinden, gewährleistet. Die Blasebälge können vom Kalkanten durch Riemen, die seitlich aus dem Orgelgehäuse hängen, betätigt werden.
Die Disposition:
Copel 8'
Gedeckt 4'
Oktave 2'
Quinte 1 1/3'
Octav 1'
Nasard im Diskant 2 2/3'
Principal im Bass 1/2'
gemeinsamer Registerzug, Nasard jedoch als Vorabzug Schleiflade und mechanische Traktur (Stecherlade).
Das Positiv stand ursprünglich auf der in der Barockzeit nachträg eingebauten Orgelempore der Liebfrauenkapelle. Nach einer um senden Umgestaltung der Kapelle in den 1960ger Jahren wurde Positiv, inzwischen schon stark renovierungsbedürftig, auf eine konstruierte kleine Orgelempore gestellt.
Schwere, auch äußerlich sichtbare Schäden am Pfeifenwerk durch Vandalismus, innere Schäden durch Holzwurm, Feuchtigkeit große Temperaturschwankungen an der Westwand der Kapelle, zuletzt auch das hohe Alter des Instrumentes, machten eine umfassende Renovation notwendig.
Im Jahre 1977 wurde die wertvolle Orgel auf Initiative eines kunstliebenden liebenden Kirchenchorsängers und im Auftrag der Kirchengemeinde durch die Firma Friedrich Weigle, Echterdingen, restauriert.
Aus Kostengründen wurden allerdings die schadhaften Pfeifen nicht renoviert, sondern durch Kopien ersetzt. Die Originalpfeifen sind aber nach wie vor eingelagert vorhanden. Aus praktischen Gründen wurde dem Instrument eine externe, elektrische Windversorgung gebaut, ohne dass die funktionstüchtige mechanische Windversorgung beeinträchtigt wurde.
Das Positiv kann also heute alternativ mit elektrischem Strom o mit Muskelkraft betrieben werden. Anlässlich der Renovation der großen Orgel in der Pfarrkirche St. Petrus und Paulus und wegen einer Innenrenovierung der Liebfrauenkapelle wurde das Orgelpositiv als Interimsinstrument 1983 in der Pfarrkirche aufgestellt und gewann wegen seines besonderen klanglichen Reizes in Liturgie und Konzert viele begeisterte Zuhörer.
Die Nutzung des Positivs quasi als Chororgel sowie bessere äußere Bedingungen zum Erhalt des lieb gewonnenen Positivs waren die Beweggründe der verantwortlichen Organisten und des Kirchengemeinderates, das Instrument vorerst nicht in die gottesdienstlich kaum mehr genutzte Liebfrauenkapelle zurückzubringen, sondern bis auf weiteres in der Pfarrkirche zu belassen.
Abbildung des Orgelpositivs - die offene Windlade mit der so genannten „Stechermechanik". Hinten sichtbar der „Orgelzettel" des Orgelbauers, versehen mit dem Datum der Orgelherstellung.
Das Orgelpositiv von Hieronymus Spiegel von 1762 in seinem Zustand vor der Generalüberholung durch die Firma Hermann Eule in Bautzen.
Bildnachweis Nr. 74-2
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